Presse

Stand: 03. August 2005

Interview mit CAMERADOS.
"Schneller. Höher. Weiter."


Am 16. September verwandeln sich die Höfe der Torstrasse 109 nahe des Rosenthaler Platzes in Berlin-Mitte in eine Open-Air-Galerie, die grossflächige Metall-Bilder im Hinterhof-Ambiente präsentiert. Hinter dieser Aktion stehen die Berliner Fotografen Heiko Haenler und Andreas Riedel, die sich zu dem Künstlerduo CAMERADOS zusammengeschlossen haben und nach 365 Tagen einen ersten Einblick in die entstandenen Arbeiten und laufenden Projekte gewähren. Warum es CAMERADOS gibt, welche Projekte im Fokus stehen (und welche nicht) und warum Trojanische Pferde so wichtig für die Kunst sind, darüber sprachen wir mit den beiden Fotokünstlern in Ihrem Loft-Atelier in der 4. Etage des 2. Hinterhofes.

Berlin gilt als die Metropole moderner Kunst in Europa. An jeder Ecke entstehen neue Galerien, jede Woche wird ein neuer Shooting-Star gekrönt. Was bewegt CAMERADOS, in diesem Konzert mitzuspielen?
Wer heute „Fotograf“ auf seine Visitenkarte schreibt, künstlerisch frei arbeiten will und dann zur Kamera greift, der muss sich mit über 100 Jahren Geschichte und Geschichten messen, Mit Genies, Koriphäen, Scharlatanen („Servus Karl!“) und Göttern des Zelluloid. War nicht alles irgendwie, irgendwann schon einmal da? Was, wenn man vor Ehrfurcht, Bewunderung, Respekt und Neid erstarrt vor so unterschiedlichen und prägenden Bildern eines Capa, Cartier-Bresson, Avedon, Maplethorpe, den Bechers, Gursky, Struth, Ruff, Tillmanns, Schöller, Richardson - und da haben wir noch ganz viele vergessen! Andererseits: Alle genannten haben sich auch nicht von ihren Vorbildern und Helden lähmen oder verunsichern lassen, sondern wurden erst durch sie inspiriert und motiviert. Die Messlatte hängt eben sehr hoch. Und in Berlin vielleicht noch ein bisschen höher als anderswo.

CAMERADOS ist bislang noch nicht öffentlich in Erscheinung getreten, es gab weder Ausstellungen, noch bestehen Verträge mit Galerien. Haben Sie sich nicht getraut oder will Sie einfach niemand?
Beides falsch. Wir glauben, dass wir zuerst einmal ein breites Portfolio erarbeiten sollten, bevor wir uns in den Kunstmarkt stürzen. Schliesslich geht es nicht primär darum, die Galerien zu bestücken, sondern zuerst einmal um unsere Ideen, Projekte und Pläne. Und das braucht einfach Zeit. Wir haben uns als CAMERADOS erst vor gut einem Jahr zusammengetan – und seitdem sehr diszipliniert gearbeitet. Da wir zur Zeit an fünf verschiedenen Projekten arbeiten und die noch nicht abgeschlossen sind, können wir auch noch nicht ernsthaft mit unseren Wunschgaleristen sprechen. Allerdings: Da gibt es schon ein paar, die unsere Arbeiten kennen und sehr mögen ...

Und was unterscheidet Ihre Arbeiten von denen uns bekannter Künstler?
Vielleicht der wichtigste Punkt – auch wenn das ein bisschen merkwürdig klingt, Wir sind beide 40 Jahre alt! Nicht 20, nicht 30, sondern 40! Wir haben beide knapp 20 Jahre in der Werbung, im Marketing und in der klassischen Auftragsfotografie gearbeitet. Wir haben also unser Handwerk von Grund auf gelernt, nicht in den Meisterklassen der Kunsthochschulen, sondern in Unternehmen, die Geld verdienen müssen. Und das prägt auch unsere Herangehensweise heute, das kann man gar nicht abschütteln.

... und wie sieht das konkret aus?
Wir machen schöne Bilder, die man teuer verkaufen kann! Nein, im Ernst: Wir fragen uns, was kommt eigentlich nach der analogen Kunst-Fotografie wie wir sie kennen? Was passiert im Spannungsfeld zwischen Dokumentation, Werbung und Kunst, zwischen Fotografie, Grafik und Malerei, schließlich zwischen analog, digital und multimedial? Wie heißen die aktuellen Themen in der Kunst, die sich fotografisch erst mithilfe einer interdisziplinären Annäherung fassen lassen? Dabei ist die Technik ist nie Selbstzweck, aber jedes technische Hilfsmittel dient dem Zweck. Wirklich jedes! Und immer gilt: Anklopfen allein genügt nicht! Wir wollen direkt und sofort ins Hirn des Betrachters, das haben wir in der Werbung gelernt: Die ersten Sekunden entscheiden, ob ich ankomme oder nicht. Schaffe ich es nicht, kann ich später auch keinen Diskurs führen. Wenn ich denn im Kopf gelandet bin, ist auch der Begriff „Betrachter“ falsch. Besser wäre: Komplize, Kollege, Partner, Angeklagter. Denn hinter allen Projekten der CAMERADOS steht als Basisstrategie für die Rezeption der Arbeiten das Prinzip des visuellen Trojanischen Pferdes: das bedeutet erstmal in den Kopf („das sieht aber schön aus!“) – und dann erst platzt die Bombe („ist das tatsächlich ein ...!“). Ästhetik als Verpackung, unbequeme Wahrheit als Inhalt. Oder wie Avedon gesagt hat: Liebevoll, aber rücksichtslos! Und: Vielleicht reden wir ja auch darüber. Sofort. Später. Oder eben auch nicht. Dann bleibt jeder mit seinen inneren Bilder allein. Und? Tut’s schon weh? Erwischt? Ertappt? Überführt? Nur durch die eigene unausweichliche Involvierung in das Thema entsteht die Spannung, die CAMERADOS erreichen möchte. So soll es sein. So sehen, verstehen und konzipieren wir unsere Kunst

An welchen Projekten arbeiten Sie denn zur Zeit?
Portraits. Autos. Sex. Tiere. Reicht das?

Nein. Bitte ein wenig mehr ...
Wir können jetzt aber hier und jetzt keine Bilder beschreiben. Wir sind Fotografen, keine Schriftsteller. Unsere Themen zwängen sich uns aber immer auf, wir müssen nie suchen. Ein Beispiel: Vor kurzem hörten wir im Radio eine Reportage zur Einführung biometrischer Ausweise. Schon war ein neues Thema geboren, nämlich die Auseinandersetzung mit den latenten Ängsten, die der gläserne Mensch hat. Und tatsächlich schafft es unsere Art zu fotografieren, näher ranzugehen, mehr freizulegen, den Menschen so zu durchleuchten, dass die Ängste, die in der Bevölkerung herrschen, visuell erlebbar sind. Oder nehmen Sie das Thema Sex. Kann man da noch was holen? Ist nicht alles schon gezeigt, gesehen? Wir haben gesellschaftliche Bereiche beobachtet, über die „ganz normal“ in der Medienlandschaft berichtet wird. Nehmen Sie Sendungen wie „Wahre Liebe“: Da sehen wir den Porno-Dreh auf Ibiza, dann testen Mandy und Maik den neuen Swinger-Club in Rüdesheim oder besuchen die total abgedrehte Sexmesse in Eisenhüttenstadt. So weit, so gut. Ganz normal. Wirklich? Wer guckt sich denn so einen Schrott im Fernsehen an? Wen interessiert das? Und noch einen Schritt weiter: Wer geht dann da hin, um alles live zu erleben? CAMERADOS jedenfalls war da. Mit Kamera.

Klingt abenteuerlich und nicht ganz ungefährlich. Wer lässt sich schon gerne in seinem intimsten Privatbereich fotografieren ... Wie brenzlig sind denn solche Shootings?
Wir platzen da ja nicht rein und halten agressiv und indiskret drauf. Wir werden sogar Teil des Spektakels – und letztendlich sind alle, die wir dann vors Objektiv kriegen, viel zu sehr beschäftigt, um sich um uns zu kümmern. Ausserdem: Wenn man auf den Sexmessen einen Extra-Eintritt bezahlt, erhält man eine Fotolizenz. Wir machen also gar nichts Heimliches oder gar Verbotenes!

Wie geht es mit CAMERADOS weiter? Wo stehen Sie in 12 Monaten?
Wir sind selbstbewusst und fleissig – vielleicht ist das unsere unspektakulärste, aber stärkste Tugend. Wir leben in Berlin und das heisst kreativer Hot-Spot. Künstlerischer Melting-Pot. Aber auch: geistiger Eintopf! Hier ist jeder ein Maler, Videokünstler, Fotograf. Jede Woche gibt es einen neuen gehypten Shootingstar! Wie heisst er doch gleich nochmal? Ach – und noch ne Galerie? Eine mit Anspruch? Na dann ... viel Glück! Beuys! Warhol! Schaut Euch das an! Was habt Ihr gesagt, getan? Habt Ihr das wirklich gewollt? Darf das sein? OK – jeder darf mal. Einverstanden. Soviel Lärm, soviel Rauch – und weit und breit kein Feuer! Nur Mittelmass. Durchschnitt. Da sagt ein Galerist: „der Künstler versucht mit seinen Arbeiten eine Standortbestimmung innerhalb der Parallelen von Zeit, Raum und Licht...“ Bla, bla, bla. Ist aber auch egal – wir haben das alles zum Glück schon nach wenigen Minuten wieder vergessen. Inklusive des Namens des Künstlers. Wir schotten uns ab – so gut das in Mitte eben geht - und arbeiten in Ruhe an unseren Projekten. Der Rest wird sich von ganz alleine ergeben.

Das Gespräch führte Christian Schmelter/Public Link Berlin.